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Vertrauen

EIN INTERVIEW ÜBER DAS GEMEINSAME SCHREIBEN UND „DIESEN MOMENT, WENN DU MERKST: ES FUNKTIONIERT!"

Am Ende eines kleinen Fußweges gegenüber von Feldern, Bäumen und Nebel steht ein Reihenhaus in Bothfeld, das aus der Reihe tanzt. Das Shakespeare-Zitat „A star danced and under that was I born" ist mit Kreide an eine Hauswand geschrieben, ein „Atomkraft? Nein Danke"-Aufkleber auf der Klingel, durch das Fenster springt mir ein auffälliges Plakat mit lauter Typo in Rot, Weiß, Schwarz entgegen – die Collage „Make Capitalism History" des Schriftstellers. Noch bevor ich die Namen Hänel und Gerold auf dem Schild lese, weiß ich, dass dieses Haus zu ihnen gehört und ich hier richtig bin.

Wir sitzen in der Küche und duzen uns sofort. Alte Schwarz-Weiß- Fotos von Wolfram Hänel, seiner Frau Ulrike Gerold und ihrer kleinen Tochter hängen an den Küchenschränken. Die Lust auf Gestalten dringt aus jeder Pore. Wie Hänel hier Tag für Tag sitzt und auf seinem Klemmbrett Geschichten erfindet, in Worte kleidet, mit einem Stift auf dem Papier festhält, kann ich mir sofort vorstellen. Er und seine Frau haben mehr als 120 Bücher veröffentlicht – Kinder- und Jugendbücher, Hannover-Krimis, Skandinavien-Thriller. Einige davon haben sie zusammen verfasst.

Wie läuft das gemeinsame Schreiben ab?

UG: Wir arbeiten ja jetzt schon seit fast 25 Jahren zusammen. Unsere ersten Bücher bestanden aus einer erzählenden Geschichte und einem thematisch passenden Sachteil. Da war die Arbeitsteilung ganz klar: Wolfram kommt vom Theater und hat den ersten Part geschrieben, ich komme aus dem Journalismus und habe den Recherchepart übernommen.

Das erste „normale" Buch, das wir zusammen gemacht haben, war gleich der große Roman „Irgendwo woanders". Dafür haben wir einen sehr genauen Handlungsablauf entwickelt, quasi wie aneinandergesetzte Szenen im Theater. Wir haben uns vorher beraten, wie die Figuren aussehen und welche Entwicklung sie durchmachen sollen. Und einer von uns schreibt die Geschichte und hangelt sich daran entlang. Der andere baut dann alle Informationen ein, die dafür wichtig sind oder sucht schon mal alles zusammen, was man für die Szene braucht. So machen wir das auch heute noch.

WH: Wir sind unser eigenes Lektorat. Wir haben ständig die Möglichkeit der Rücksprache. Was der eine schreibt, bekommt der andere auf den Tisch. Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Das ist etwas, das wir am Theater gelernt haben: Ein Theater ist nur dann gut, wenn alle Arbeitsbereiche ihr Bestes geben, aber nicht, um sich wichtig zu machen, sondern um eine gute Produktion herauszukriegen. Wenn etwas hölzern klingt, der Dialog nicht funktioniert, wir die Spannung verlieren oder die Figuren nicht aufgehen, dann sind wir immer zu zweit. Das ist nicht nur ein großer Vorteil, sondern ein großes Glück

Wie eng haltet ihr euch dann tatsächlich ans Konzept?

WH: Wir haben über die Jahre gemerkt, dass wir bis zur Hälfte sehr dicht an diesem Handlungsgerüst bleiben und dann verändert sich etwas, einer von uns hat eine neue Idee, wie wir noch viel mehr rausholen.

UG: Dadurch müssen wir am Ende noch einige Sachen ändern und gegebenenfalls auch am Anfang. Wir setzen uns dann wieder zusammen und diskutieren darüber.

Und wie passt das vom Stil her?

UG: Wolfram ist erzählerischer, ich bin karger. Ich versuche mehr zusammenzufassen. Aber da einer von uns immer vorschreibt und der andere lektoriert, gibt ja einer den Stil vor.

WH: Am Ende geht einer von uns noch mal komplett drüber, bevor es an den Verlag geht, damit es stilistisch aus einem Guss ist. Und danach lesen wir es zusammen laut vor – dafür kommen wir ja vom Theater. Dann kriegt man ein Gespür dafür, ob es funktioniert. Er nimmt den knallroten Espressokocher vom Herd und gießt mir einen Kaffee mit Mandelmilch ein.

Habt ihr einen festen Tagesablauf?

UG: Als wir ganz, ganz jung waren, haben wir auch nachts gearbeitet.

WH: Durchs Theater haben wir ohnehin schon abends gespielt. Als ich Plakate gemacht habe, war ich ganz viel nachts tätig.

UG: Das hat sich geändert, als unsere Tochter geboren wurde und einer von uns sowieso wegen Kindergarten und Schule aufstehen musste. Dann war das Kind tagsüber aus dem Haus, also haben wir zu der Zeit gearbeitet. Heute fangen wir so um halb elf an, wir sind Langschläfer! Wolfram beantwortet vorher noch alle Mails, ich bin mit unserem Hund Carlos unterwegs. Wir arbeiten bis zum Nachmittag durch – dann ist aber auch gut. Länger als 5 Stunden schaffen wir nicht!

WH: Konzentriertes Schreiben klappt bis zu 3 oder 3,5 Stunden. Das bestätigen auch alle Kollegen.

Und wo schreibt ihr?

WH: Wir haben das so unterteilt: Ich mache alles in der Küche und Ulrike oben. Die Küche inspiriert mich. Und ich kann nicht mit Ulrike am selben Tisch arbeiten. Unsere Tochter Hiljke setzt sich mit völliger Begeisterung zu Ulrike an den Schreibtisch und schreibt ihr Zeug. Also mich nervt das völlig.

UG: Die junge Generation kann ja überall arbeiten. Die klappen ihren Laptop auf und los geht's – das ist wirklich faszinierend. Wir können schlecht woanders arbeiten.

Computer oder Stift und Papier?

UG: Wolfram schreibt klassisch mit Stift und Klemmbrett, ich dann gleich am Computer. Meine Schrift kann auch keiner lesen. (lacht)

WH: Wenn ich Glück habe, übernimmt Ulrike das Abtippen meiner Texte, weil sie es ja eh lektoriert. Ansonsten muss ich es selbst machen.

Was begeistert euch am meisten, wenn ihr in die kreative Schaffensphase kommt?

WH: Wenn ich merke, dass ich inzwischen so viel Handwerk beherrsche, dass ich Sachen, auch wenn sie mir noch fremd sind, hinkriege. Dass ich es schaffe, sie in entsprechende Sprache zu fassen und eine Geschichte hinbekomme. Das begeistert mich selbst total. Das ist ja teilweise auch harte Arbeit, wenn irgendwas nicht passt. Aber dieser Moment, wenn du merkst: es funktioniert! (schnippst mit den Fingern)

Wie hilft euch da eure Erfahrung?

WH: Ein schönes Beispiel – wir haben beide lange gebraucht, um das zu kapieren: Wenn man Krimis schreibt, hat man beim Schreiben manchmal eine Idee, die in der Situation völlig überzeugend ist. Trotzdem ist man unsicher: Soll ich das machen oder nicht? Funktioniert das wirklich für den gesamten verzahnten Aufbau? Nun wissen wir: Mach es und begründe es später! Du wirst immer eine Möglichkeit dafür finden.
Wie stark taucht ihr in kreativen Phasen ab?

WH: Wir treffen eigentlich gerne Leute und reden gern mit ihnen. Aber es gibt so Phasen, wo wir kein Gespräch gebrauchen können, weil wir echt Angst haben, dass es uns aus der Geschichte haut. Dann sind wir quasi sozial inkompetent. (lacht) Wir haben uns dann angewöhnt, Serien bei Netflix oder Amazon zu gucken.

Auch „Tatort"?

UG: Nee, „Tatort" gar nicht. Nur die Münchner gucken wir uns ab und zu an. Auch die ganzen TV-Krimis haben wir mal eine Zeitlang geguckt, weil wir dachten, wir müssen da auf dem Laufenden sein – ist aber immer das Gleiche.

Ist Lesen auch ein Hobby?

WH: Wenn du als Schriftsteller nicht lesen würdest, wärst du ja idiotisch. Man lernt durchs Lesen. Auch heute bin ich noch von besonderem Stil begeistert und denke: Wow! Da hat jemand alles mit einem kleinen Trick in den Griff gekriegt, das fällt wirklich mal aus dem Rahmen. Und ich bewundere Erzählfluss, wie bei Irving zum Beispiel. Hund Carlos schiebt seinen Napf mit der Schnauze, um auf sich aufmerksam zu machen.

WH: Ein halbes Stündchen musst du noch warten, Carlos. Mit ihm gehe ich tagsüber immer spazieren. Dabei kann ich gut etwas entwickeln. Wenn ich festhänge und das Problem wahrscheinlich nicht lösen könnte, wenn ich nur aufs Blatt starre. Aber wenn ich im Wald oder auf den Feldern unterwegs bin, geht's gut. Dann erzähle ich es dem Hund und der nickt. (lacht)

Gab es eigentlich einen bestimmten Anlass für dich, der dir das Gefühl gab, dich aufs Schreiben zu spezialisieren?

WH: Klar. Ich war an der Landesbühne als Plakatmaler und Theaterfotograf. Zu Weihnachten wurden immer Weihnachtsmärchen gespielt, Bearbeitungen von Grimms Märchen. Was da auf die Bühne kam, waren so dämliche Bearbeitungen, dass ich mich echt aufgeregt habe. Irgendwann habe ich gedacht: Das muss besser gehen! Ich möchte das mal anders versuchen. Und beim Schreiben habe ich gemerkt, wie viel Spaß es mir bereitet.

Eingestiegen bist du als Plakatmaler, Theaterfotograf, Spieleerfinder und Dramaturg, später warst du auch Werbetexter. Wie hast du die kreative Szene in Hannover damals erlebt und was hat sich verändert?

WH:Wir haben generell eine andere Haltung gehabt. Es ging darum, Kunst in den öffentlichen Raum zu kriegen. Das Straßenkunstprogramm entstand, die Nanas, das war in den 70er-, 80er-Jahren. Zu der Zeit wurden keine Stadtteilbüchereien eingespart, da wurde überlegt, noch weitere aufzumachen. Da waren Gelder da. Es ging immer um Inhalte – das ist der große Unterschied zu heute! Das gesamte Freie Theater hat Inhalte transportiert. Ein Problem war plötzlich auf dem Tisch, zum Beispiel das Thema Aids. Die Etablierten konnten nicht so schnell reagieren, es dauerte zwei Jahre, bis sie ein Programm auf die Beine gestellt haben. Wir konnten das sofort machen, wir schrieben das Stück und gingen damit raus. Heutzutage sind Inhalte weitestgehend verloren. Es gibt nur noch Kunst um der Kunst willen.

Wie ist das beim Schreiben?

WH: Ich will Geschichten erzählen. Aber in der Literatur sagen die Verlage heutzutage, wenn wir Geschichten haben wollen, holen wir sie als Lizenz aus dem Ausland – Bücher, die dort besonders gut gelaufen sind. Ihr (die deutschen Autoren) schreibt uns bitte ein Thema, von dem wir wissen, das knallt. Ihnen ist völlig egal, ob dabei eine Geschichte rumkommt oder wie dämlich der Inhalt ist. Bei Kinderbüchern ist das ganz extrem, wir machen so viele Ponyserien. Immer wieder dasselbe, weil sie wissen: Damit kriegen sie den Massenmarkt. Das hat sich extrem verändert. Eine andere Sache, die mich nervt, ist, dass man nicht mehr seinen Kopf einschalten muss. Es wird alles vorgegeben. In der Belletristik bittet das Lektorat, dass man die Personen ganz genau beschreibt – was für Haare haben die, was für eine Nase. Dabei sollte man den Leser das entwickeln lassen! Das bring ich anders rüber. Ich muss nicht alles aufklären. Man muss die Leser dahinbringen, dass bei ihnen eine Welt entsteht, in der sie sich wiederfinden. Das gilt auch für Film und Theater.

Kurt Appaz, Jan Andersen, Freda Wolff – du schreibst unter vielen Pseudonymen, auch unter Frauennamen. Wie kommt das?

WH: Kurt Appaz wollte ich, weil ich gerade so viele Kinder- und Jugendbücher geschrieben hatte, und danach Geschichten herausbringen wollte, die überhaupt nichts für Kinder sind. Wenn die Buchhändler auf dem Cover Hänel gelesen hätten, wäre sofort der Gedanke an ein Jugendbuch aufgekommen. Das wollte ich vermeiden. Meistens sind Pseudonyme eine Verlagsentscheidung. Alle Verlage versuchen sich über Marken zu etablieren. Bei unserem Skandinavien-Thriller wollte der Verlag eine Marke dafür aufbauen, jeder weiß: Freda Wolff schreibt Skandinavien-Thriller, nichts anderes. Es sollte ein Frauenname sein, weil sich das im Thrillerbereich besser verkauft. Zweitens sollten sie sich von unseren Hannover-Krimis absetzen. Jan Andersen entstand, weil ich als Hänel schon so viele Hundegeschichten geschrieben habe. Dadurch sind dann aber viele durcheinandergekommen. Ein wesentlicher Grund für Pseudonyme ist, wenn das letzte Buch nicht gut gelaufen ist. Dann ist der Name mehr oder weniger verbrannt und wir servieren unter einem Pseudonym. Alle Kollegen schreiben unter zig Pseudonymen.

Ihr denkt euch regelmäßig Figuren aus. Wenn Hannover eine Gestalt wäre, wie würde sie aussehen und welchen Charakter hätte sie?

UG: Zuerst dachte ich an die Nanas: bunt, dick, gemütlich. Aber so ist Hannover auch nicht nur. Die Figuren mit Regenschirm von Ulrike Enders finde ich ja ganz witzig: ganz gemütlich, aber man muss sich immer gegen irgendwelche Unbilden wehren, und wenn es nur das langweilige und graue Image von Hannover ist. Das passt aber auch nur halbwegs. Vielleicht eher eine Collage von Kurt Schwitters, wo alles Mögliche zusammengepackt wird, Alltagsdinge und Dinge, die aus dem Rahmen fallen. Und es ist auch nicht so komponiert, dass es eine Geradlinigkeit ergibt. Man muss sich drauf einlassen.

ZU DEN PERSONEN
1956 erblickten beide das Licht der Welt, Wolfram Hänel in Fulda, Ulrike Gerold in Peine. Mit drei bzw. vier Jahren zogen sie nach Hannover. Sie studierten Germanistik in Berlin, Gerold arbeitete als Dramaturgin am Theater und seit 1993 als freie Journalistin, Hänel als Plakatmaler, Werbetexter, Theaterfotograf, Spieleerfinder und Dramaturg. 1987 wurde ihre Tochter Hiljke Hänel geboren, die 2017 ihren ersten Kriminalroman veröffentlicht hat.

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