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Reportagen

Hannovers roter Faden

Hannover eine graue Maus? Von wegen! Wer viele Sehenswürdigkeiten entdecken möchte, muss nur einer Spur folgen, nein, eher einem Faden: dem Roten Faden. Eine auf den Boden aufgemalte Linie führt vorbei an sehenswerten Orten, ideal für Touristen oder Einheimische, die ihre Heimat genauer unter die Lupe nehmen wollen. Alberto Alonso Malo kommt aus der Region und hat die etwas andere Stadtführung mit seinen Kindern ausprobiert. Eine Sightseeingtour mit Sohn Emile (10) und Tochter Ella (6).

Der Rote Faden eine Stadtführung der besonderen Art

Einmal Stadtführer sein, in Hannover ist das seit 1970 kein Problem. Möglich macht es der Rote Faden. Dabei handelt es sich um eine auf den Asphalt beziehungsweise das Pflaster aufgebrachte Linie. Die schlängelt sich vom Ernst-August-Platz, direkt im Herzen der City, einmal quer durch den innerstädtischen Bereich zurück zum Ausgangspunkt. Dabei streift sie auf 4,2 Kilometern insgesamt 36 Sehenswürdigkeiten. Der Rote Faden bekommt übrigens jedes Jahr eine Frischzellenkur, damit er weiterhin gut zu sehen ist. Dafür benötigen die Arbeiter jeweils rund 70 Liter Farbe.

Klar, als jemand, der in der Region Hannover aufgewachsen ist und auch einige Jahre direkt in Hannover-Linden gewohnt hat, kenne ich meine Heimat. Meine Kinder und ich möchten uns aber einen Spaß machen und spielen Touristen, die eine fremde Stadt erkunden wollen. Der Rucksack ist schnell gepackt: Sohnemann Emile nimmt seinen Kompass mit („falls wir uns verlaufen"), die künftige Starfotografin Ella ihre Spielzeugkamera. Und ich? Lasse den Stadtplan zu Hause. Stattdessen schlage ich vor, dem Roten Faden zu folgen, von dem ich zwar gehört, aber den ich trotz unzähliger Besuche in der Innenstadt nie richtig wahrgenommen habe. Dabei klingt das Prinzip toll: (Fast) alle Sehenswürdigkeiten auf einen Schlag entdecken, das verspricht dieser zwanglose Stadtrundgang.

Bei strahlendem Sonnenschein starten wir direkt im Herzen der Landeshauptstadt. In der Tourist Information am Ernst-August-Platz kaufe ich noch schnell die passende Broschüre, die uns zu den hannoverschen Höhepunkten leiten und begleiten wird. Ich blättere kurz durch. Oper, Neues Rathaus, Leineschloss, Altstadt sehe ich beim Überfliegen. Klassiker.

Von Mittelmaß weit entfernt

Was beim Durchblättern auffällt: Obwohl Hannover doch gerne Mittelmaß zugeschrieben wird, werden 36 Sehenswürdigkeiten beschrieben und das nur im innerstädtischen Bereich. Alles andere als mittelmäßig. Eine ordentliche Mitteldistanz ist dagegen die Streckenlänge des Roten Fadens: 4,2 Kilometer. „Zu Fuß oder mit dem Auto?", fragt Emile. „Heute ist Ausdauer angesagt und die Route lässt sich sogar noch verlängern." Er versteht meinen Wink und marschiert zerknirscht los.

Kurz nach dem Start steuern wir direkt auf Hannovers zentrales Kulturhaus: „Guck mal Ella, das ist die Oper." Mein Hinweis wirft bei der Kleinen Fragen auf: „Opa? Wo ist Opa?" Emile versteht und klärt auf. „Das ist das große alte Haus da vorne, da singen Leute und so", flüstert er Ella ins Ohr. Sie nickt. Die Staatsoper Hannover ist übrigens nicht nur optisch und mit 1200 Plätzen ein großartiges Gebäude, auch das Programm überzeugt: Bei den OPER! AWARDS 2020 hat es die Auszeichnung als „Bestes Opernhaus" erhalten. Hannover und Mittelmaß... wirklich nicht.

Wir nehmen wieder unsere gefädelte Fährte auf. Direkt neben der Staatsoper befinden sich mit Georgstraße und Georgsplatz die nächsten Stationen. Etwa genau in der Mitte, am Holocaust-Mahnmal, halten wir inne, ich lese mir die Hinweistafel durch. „Warum heißt die Georgstraße denn Georgstraße?", stellt Ella die nächste Frage. Ich glänze mit historischer Unwissenheit, frage mich, warum Kinder immer so viel fragen müssen und schlage in der Broschüre nach. „Die Straße heißt so, weil es vor vielen Jahren in Hannover einen König Georg III. gab, der gleichzeitig auch noch König von Großbritannien war", antworte ich fachmännisch. Emile überzeugt das nicht: „König von Hannover und Großbritannien? Das geht doch gar nicht. Manuel Neuer darf ja auch nicht für England spielen." Ich spare mir weitere historische Ausführungen. Ich würde doch nur verlieren.

Von der Straße zu Königs Ehren zum Herrscherpalast

Wir steuern den Aegidientorplatz an, halten uns dann rechts und sehen von Weitem die Aegidienkirche oder zumindest das, was davon noch übrig ist. „Die ist kaputt. Was ist mit der Kirche?", möchte diesmal Emile wissen.Das kann ich diesmal aus dem Stegreif beantworten. „Die Kirche wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und ist jetzt eine Gedenkstätte." Als wir direkt auf die Aegidienkirche zulaufen, läuten die Glocken. Merkwürdigerweise ist es da 12.05 Uhr. Der Blick in die Broschüre verrät: Das Glockenspiel ist viermal täglich zu hören. Um 9.05, 12.05, 15.05 und 18.05 Uhr deshalb, damit es nicht von anderen Kirchenglocken übertönt wird. Macht Sinn und ich überlege die Strategie zu Hause einzuführen, um mir Redezeit zu sichern.

Durch einen schmalen Weg gehen wir nun direkt auf das Neue Rathaus zu. Auf dem Trammplatz, direkt vor dem imposanten Bau, rasten wir kurz auf einer Bank. Nicht weit entfernt: die Statue eines Bogenschützen, der genau auf das Neue Rathaus zielt. „Das sieht aus wie ein Schloss", staunt Ella. Und irgendwie hat sie recht oder gibt es irgendwo anders noch einen ähnlich märchenhaften Sitz eines Bürgermeisters? Drinnen, in der großen Rathaushalle, schauen sich die Kinder die Hannover-Modelle interessiert an. Schade finden wir nur, dass keine Kuppelauffahrt möglich ist, denn: Der Blick von oben und allen Seiten über Hannover lohnt sich.

Die Extratour rund um den Maschpark sowie entlang an Maschsee und HDI-Arena hätte ich meinen Kindern und mir gerne gegönnt, so als überzeugte 96-Anhänger. Aber der kleine Hunger ruft. Das nächste Café ist unsers. Also weiter. Unsere Route schlängelt sich nun in Richtung Waterloosäule, die wir nicht besichtigen, und Leineschloss. Der Rote Faden bekommt in dieser Ecke übrigens eine ganz eigene Bedeutung: Rund um den Friederikenplatz stehen wir gefühlt an jeder Fußgängerampel.

Viel Wasser und ein König

Endlich auf der anderen Seite sehen wir es schon: das Leineschloss. „Da hast du dein Schloss", rufe ich meiner Tochter zu. „Wohnt dort auch noch eine Königin?", möchte sie wissen. „Nein", sage ich, „dafür arbeitet dort aber ein anderer Chef, der Ministerpräsident." „Also ist der Ministerprezidenz sowas wie ein König", fasst Ella zusammen. Wir streifen die Flusswasserkunst, machen ein paar Fotos von der Leineschlossbrücke aus und erblicken ein paar Meter weiter die berühmten Nanas. Emile ist schonungslos offen: „Das sind aber große und dicke Frauen!" Wir beschließen die Sonne am Hohen Ufer zu genießen. Ein wunderbarer Ort mit mediterranem Flair, wie ich finde. Und ein geschichtsträchtiger, da hier laut meiner Broschüre schon im 10. Jahrhundert eine erste Siedlung entstand.

Nun ist die Altstadt nicht mehr weit und damit endlich etwas Leckeres auf dem Teller in Sicht. Unsere Mägen knurren. Unser Ziel ist der Ballhof, der im 17. Jahrhundert unter anderem für das Federballspiel erbaut worden war. Unglaublich, oder? Hier kehren wir im traditionsreichen Teestübchen ein und stärken uns mit frischen Sandwiches und Eis.

Greifbare Geschichte

Der Rest der Strecke fällt uns jetzt leicht. Gleich um die Ecke sehen wir das Leineschloss auch von vorne. Hier hat sich früher Geschichte abgespielt und die war teilweise gruselig. Ich behalte für mich, dass hier ein Graf Königsmarck Ende des 17. Jahrhunderts ermordet wurde. Was ich den Kindern aber dafür zeige, ist die Kramerstraße mit einer echten Besonderheit: einem Punkt, an dem sich alle vier Türme der innerstädtischen Kirchen sehen lassen. Der optische Kniff überzeugt auch die Stöpsel.

Endspurt. Vorbei an der Markthalle durchqueren wir die City und steuern direkt auf den Kröpcke zu. „Was ist denn der Kröpcke?", wird wieder gelöchert. „Ein zentraler Platz mit einer bekannten Uhr und einem berühmten Café", sage ich. „Und warum heißt der Platz Krö ...?" „... weil", komme ich der nächsten Frage zuvor, „der frühere Besitzer des Cafés so mit Nachnamen hieß. Und diese Bezeichnung wurde deshalb auch erst inoffiziell und dann offiziell für den ganzen Platz verwendet."

Wir haben das Ende unserer kleinen Reise durch Hannover und damit den Bahnhof erreicht. Vor uns steht ein bronzenes Reiterstandbild. Das Denkmal von König Ernst August I. Als wir hinter dem Denkmal stehen, zeige ich nach oben und sage: „Jetzt stehen wir unterm Schwanz." Mein Nachwuchs schaut mich verdattert an. „Typisch hannöversch", sage ich. Genauso wie der Rote Faden.

Zwei passende Begleiter

Der Rote Faden. Ihr ganz persönlicher Stadtführer. So lautet der Titel der Broschüre, die spannende Informationen zum Roten Faden enthält. Damit im Gepäck steuern Sie alle hannoverschen Highlights sicher an und erfahren auch mehr zur Extratour. Erhältlich ist die Broschüre zum Preis von drei Euro an folgenden Stellen:

Tourist Information am Hauptbahnhof, Ernst-August-Platz 8, 30159 Hannover
Tourist Information im Neuen Rathaus, Trammplatz 2, 30159 Hannover

Und für Kinder gibt es extra ein passendes Buch zum Roten Faden. Kleine und große Entdecker lernen Hannover so auf unterhaltsame Art und Weise spielerisch kennen:

Der Rote Faden – Hannover
Für kleine und große Entdecker
Von Carmen Putschky + Marek Konarski ISBN 978-3-923976-71-3
€ 9,99

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